Aus gegebenem Anlass – nämlich extrem frostige Temperaturen in diesem Februar 2018 – geht es in diesem Artikel um Frostkeimer. Was sind Frostkeimer und warum keimen diese Samen nur nachdem sie tiefe Temperaturen durchlebt haben? Wie hat sich dieses Merkmal entwickelt? … und was hat eine Rübe namens Gniff mit all dem zu tun?
Was sind Frostkeimer?
Frostkeimer oder Kaltkeimer nennt man Pflanzen deren Samen zum Keimen erstmal spürbar kalte Temperaturen benötigen. Wenn diese Samen keine Kälteperiode durchgemacht haben, dann keimen sie auch nicht wenn es wärmer wird. Warum?
Wenn Samen erst keimen, nachdem ein gewisser Reiz (Kälte, Licht, usw.) auf sie eingewirkt hat nennt man die Zeit bis zu diesem Reiz Samenruhe. Samenruhe ist nichts als ein Mechanismus, mit dem der Same ungünstige Wachstumsbedingungen überdauert. Nur wenn der erwähnte Reiz dann auf den Samen einwirkt wird der «Dornröschenschlaf» beendet.
Klingt alles ein bisschen kompliziert – aber Samenruhe ist für die Pflanze durchaus ein sinnvoller Mechanismus.
Kosten-Nutzen
Man muss sich das so vorstellen: eine Pflanze produziert im Frühjahr Sprosse und Triebe, danach Blätter. Mit diesen häuft sie Kohlenstoff an und wächst – sie legt zu. Wenn die Ressourcenlage gut ist und keine Krankheiten, Schädlinge oder Katastrophen über unser Pflänzchen hereinbrechen produziert sie Blüten. Diese Blüten werden durch Zufall (Wind) oder Dritte (Insekten, der Zufallsfaktor ist dort auch eher hoch) bestäubt.
Wenn nun auch keine Krankheiten, Schädlinge oder Katastrophen unserer Pflanze die Vermehrung versauen DANN produziert sie Samen! Nur dann! … und dann kommen oft noch irgendwelche Omnivore und fressen einfach die liebevolle Verpackung der Pflanzensamen auf – denk dran, wenn du den nächsten Apfel isst ;).
Dieser Same mitsamt Wegzehrung fällt von der Mutterpflanze ab und reift nach – und fällt je nachdem in eine Samenruhe, die er von de Mutterpflanze vererbt hat. Fällt also ein Same eines Kältekeimers im Herbst auf den Boden MUSS zuerst deutlich lange eine deutliche Kälte vorgeherrscht haben, damit bei keimungsfreundlichen Bedingungen der Same zu keimen beginnt. Diesen Samen kann man noch so sorgsam einweichen – er wird sich nicht rühren. Wie bei balconybotanista: es muss in der Früh deutlich lange deutlich laut der Wecker klingeln bis sie sich aus ihrer Dormanz erhebt.
Das hat den Vorteil, dass der Same nicht einfach im Herbst nach ein bisschen Regen loswuchert und dann im Winter sein Leben lässt – sondern zur richtigen Zeit wächst. Die Chance, dass dieser Same keimt, wächst und sich vermehrt ist somit grösser und die Rechnung geht auf.
Wie funktioniert dieser Mechanismus aber genau?
Jetzt wird es erst richtig interessant. Es gibt drei mögliche Ursachen für Samenruhe:
- Entweder das Pflanzenhormon ABA (Abscisinsäure) ist im Samen das hemmende Hormon ODER in Steinobst Amygdalin. Diese zwei Stoffe müssen erst genügend abgebaut werden damit der Same anfängt zu keimen.
- Die Samenschale ist hart. Sie wird in der Natur von Mikroorganismen im Boden aufgeweicht – aber Mikroorganismen arbeiten nur wenn der Boden nicht bockhart gefroren ist. Also nicht im Winter. Schon überdauert unser Same. Pro-Tipp: Gärtner ritzen solche harten Samen übrigens oft an (Hülsenfrüchtler sind bekannt dafür).
- Ein strukturelles Ding (auch «Morphologie» genannt). Der Same ist einfach noch nicht fertig wenn er von der Mutterpflanze fällt und braucht noch ein Jährchen um ganz auszureifen (Esche). Oder er braucht im Boden freundlich gesinnte Symbionten, die in hegen und pflegen (Orchideen).
Was hat die Kerbelrübe mit zu tun?
Die Rübe Gniff ist ein Frostkeimer. Als die Balconybotanista diesen Winter den Entschluss packte, ihren Balkon in ein Permakulturparadies zu verwandeln war eines der ersten Dinge, die sie tat: shoppen. Saatgut shoppen. Und obwohl ich einen Balkonplan und eine ziemlich genaue Vorstellung von den Pflanzen, die ich haben wollte, hatte, passierte was passieren musste. Da war diese süsse, putzige Rübe. Aussen grau-braun und unscheinbar aber im Inneren: brillantestes Dunkelviolett! Dann war das auch noch eine seltene Tessiner Sorte… die musste ich haben. Also wurde „die Kerbelrübe“ bestellt. Als ich bei der Aussaatplanung war und das bestellte Saatgut sortierte fiel mir irgendwann die Rübe in die Hände und voller Schrecken las ich, dass die violette Tessinerrübe ein Frostkeimer ist.
Wie es der Zufall wollte rollte eine extreme Kaltfront über Europa hinweg, mit Minusgraden sogar am milden Bodensee und ich sah die Gelegenheit gekommen in meine völlig unvorbereiteten Pflanzgefässe mit dem Frostkeimer zu besähen. Ehrlicherweise hatte balconybotanista Null Ahnung, dass Frostkeimer-Samen im Allgemeinen
- Zuerst mal etwas anquellen sollten (und zwar bei noch Plusgraden)
- Einige Wochen in der Kälte liegen mussten um wirklich Keimung induziert zu haben (ein paar Wochen zwischen +5 und -5 Grad Celsius).
Ich säte einfach mal aus – bei -15 Grad (mir fielen fast die Hände ab und die Kamera gab den Geist auf). Im Nachhinein habe ich mich dann belesen, was die tatsächlichen Keimungsbedingungen für Frostkeimer sind.
Keimungsbedinungen für Frostkeimer
Ich zitiere hier «Mein schöner Garten» (https://www.mein-schoener-garten.de/gartenpraxis/ziergaerten/kaltkeimer-frostkeimer-aussaeen-20436):
Wer Kaltkeimer aussäen möchte, sollte das schon im Herbst oder Winter tun. Die Samen einiger Arten brauchen während der Quellung der Samenschale eine Phase mit höheren Temperaturen, bevor die Kältephase einsetzt. Ist sie zu kurz oder wird von einigen milden Tagen unterbrochen, kann sich die Keimung um ein ganzes Jahr verzögern.
Und hier noch einmal sehr ausführlich, wie man Schritt für Schritt vorgehen kann (Prospecierara):
„Das Saatgut wird idealerweise in ein sandiges Aussaatsubstrat gesät. Die Erde ist danach gut anzufeuchten, damit die Samen Wasser aufnehmen (quellen). Anschliessend werden die Saatschale oder Töpfe ins Freie an einen vor Niederschlägen geschützten Platz gestellt. Es ist eine Kälteperiode von etwa 3 Wochen erforderlich.“
Im übrigen kann man die Kältephase auch imitieren, indem man die angefeuchteten Samen in den Kühlschrank stellt. …da hätte ich mir auch viel Frieren während dem Aussähen ersparen können 🙂
… sonst wird Gniff eben im Frühjahr 2019 das balconybotanista-Herz erfreuen!