Blattläuse. Ich hasse sie, diese Biester. Der Schrecken jedes Hobbygärtners macht auch vor balconybotanistas Pflänzchen nicht Halt. Diese wiederum versucht es mit Schmierseife, Wasserschwällen und zerquetschen – doch es sind einfach zu viele!! Was also tun? Neemöl scheint die Lösung zu sein. Ein Erfahrungsbericht.
Die Minze
Bei meiner Minze handelte es sich um ein Exemplar Schokoladenminze, die letzten Sommer im Gartencenter gekauft wurde und einfach in einen Balkontopf eingepflanzt wurde. Trotz Null-Pflege überlebte sie irgendwie den Sommer (was balconybotanista immer noch ein Rätsel ist) und war mir daher auch irgendwie sehr sympathisch. Nun kam es so, dass sie bis zum März den Winter ebenfalls in diesem Balkontopf weiter überdauerte und ich mit Schrecken feststellte, dass es im Winter wohl doch vielleicht ein bisschen zu trocken gewesen sein dürfte für die arme Minze. Nach kurzem Googeln war aber schnell eine Lösung gefunden, die da lautete: Minzenwurzelballen in Wasser einweichen, etwas trocknen lassen und dann neu eintopfen.
Gelesen, getan. Zuerst funktionierte auch alles nach Plan, junge frische Triebe kamen durch die Erde Richtung Licht und leckerer Minzenduft strömte durch mein Bürozimmer.
Die Blattläuse
Aber dann: Blattläuse. Biestige, durstige Blattlaushorden, die meine Minze anscheinend ebenfalls lecker fanden. Sie klebten reihenweise auf meiner Minze und tranken sich fett und voll an Phloemsaft. Phloemsaft ist die zuckerhaltige Flüssigkeit, die von den Blättern in den Rest der Pflanze verteilt wird um dort zu Biomasse verarbeitet zu werden und somit die Pflanze wachsen zu lassen. Diesen Zuckersaft saugen die Blattläuse ab scheiden wiederum Honigtau aus. Ja, und meine Minze war beim Schrumpfen.
Natürlich versuchte ich alles Mögliche…
…die balconybotanista zerdrückte die ersten Blattläuse noch von Hand (eklig, aber wirksam), dann stellte ich die Minze unter die Dusche. Erst nur Wasser (half nicht) danach mit Schmierseife (half nicht und ich konnte die Minze auch nicht mehr essen). Die balconybotanista forschte nach, wie man dem Blattlausbefall Einhalt gebieten könnte. Die Hausmittel waren aufgebraucht, die Viecher vermehrten sich absolut hemmungslos und die Minze röchelte nur noch schlapp vor sich hin.
Das Gift
Zufällig war gerade zu der Zeit die Giardina Gartenmesse. Als ich so durch die einzelnen Messehallen schlenderte blieb mein Blick auf einmal hängen an «Neemöl: die natürliche Bekämpfung von Blattläusen und anderen Pflanzenschädlingen». Meine Rettung! Natürlich kaufte ich sofort eine Halbliterflasche von dem Wundermittel und ab ging es nach Hause – zum Blattläuse ausrotten. Ich mischte eine, wie in den Instruktionen angegebene, geringe Menge Neemöl mit einem Liter Wasser und füllte alles zusammen in eine Sprühflasche. Da das gekauft Neemöl aber aus Indien nach Italien und dort abgefüllt und etikettiert worden war, plagten mich Zweifel ob der Pestizidbelastung, die man nicht unbedingt auf seine Lieblingsminze für Tee und Cocktails sprühen möchte. Daher wurde erst mal mit dem giftkundigsten Familienmitglied Rücksprache gehalten – meinem Bruder, dem Pharmazeuten, ob er denn das Neemöl mal schnell analysieren könnte.
Die Whatsapp-Konversation verlief ca. so:
Ich: Kannst du Neemöl auf Pestizide testen?
Er: Lol, wieso? Neemöl ist an sich schon giftig genug. Davon kriegt man locker Krebs, ich sage nur Epoxidring. Das sind ein bisschen Pestizide auch nicht mehr tragisch.
Ich: Was!? Aber kann ich das dann auch die Minze sprühen gegen Blattläuse??
Er: Ja klar, Kinder bekommens bei Läusen auf die Haare. Aber essen würde ichs eben nicht.
Ich: … aber ich will Minzetee machen.
Er: … also Wikipedia sagt, Neemöl ist relativ ungiftig für Säugetiere.
Na toll!!! Ganz toll! Ich hatte keine Lust auf Vergiftung durch Neemöl. Aber neugierig war ich nun auch geworden, also fing der kleine Biochemiker in der balconybotanista an zu recherchieren.
Was ist also Neemöl?
Neemöl wird aus dem Samen des Neembaumes rausgepresst. Dieser ist ursprünglich in Indien, Pakistan und Burma beheimatet. Zum Wachsen braucht er tropischen oder subtropisches Klima, dann ist er auch immergrün.
Der Baum gehört zur Pflanzengattung der Azadirachta, deshalb, man lese und kombiniere, heisst der insektentötende Wirkstoff wohl auch Azadirachtin. Dieser ist ein ziemlich riesiges und kompliziertes Molekül (siehe unten) – laut Pharmazeut sind von Pflanzen erzeugte Wirkstoffe meistens riesig und kompliziert (wahrscheinlich weil sie eben nicht nur einen einzelnen Zweck zu erfüllen haben im Pflanzenorganismus).
Das Gute an dem Wirkstoff ist:
- Er ist sehr reaktiv – das heisst, er hält sich nicht lange wenn er nicht in der Plastikflasche ist
- Es gibt eine sehr lange Geschichte von Neemölgebrauch durch Menschen und nur sehr wenige Vergiftungsfälle und keinen Todesfall (ist schon beruhigend finde ich J )
- Es KILLT Blattläuse!
Wie tötet Neemöl Blattläuse?
Dieses Molekül hemmt nämlich einen bestimmten Prozess in der Blattlaus. Nämlich die Larvenentwicklung hin zum erwachsenen Tier, der Blattlaus. Das bedeutet, dass Azadirachtin irgendwo im Stoffwechsel der Blattläuse eingreift – und dieser Ort ist normalerweise zuständig für diese schlagartige Zunahme an adulten Blattläusen. Aber wo genau wird eingegriffen? Bei einem anderen Molekül – einem Hormon namens Ecdyson. Ecdyson wird aktiviert, wenn die Blattlauslarven zu ausgewachsenen Blattläusen werden sollen. Es regt die Häutung an. Dadurch, dass Azadirachtin diesen Prozess hemmt kommt es gar nicht erst dazu und – HURRA! – die Larven bleiben Larven und sterben irgendwann. Das bedeutet, sie können nicht zu Blattläusen werden und meine Minze anzapfen.
Das Problem bei der ganzen Sache ist, dass auch andere Insekten betroffen sind. Also auch die Entwicklung und Vermehrung von Nützlingen abgewürgt wird. …und ein kleines Problemchen ist auch, dass Säugetiere unter starken Vergiftungserscheinungen leiden können, wenn sie exzessiv viel mit Neemöl in Kontakt sind. Die balconybotanista denkt hier v.a. an ihre zwei neugierigen Katzen…
Was tue ich also?
Das Ende der Blattläuse – und der Minze
Draufhauen natürlich! Frohes Gifteln für naturnahe Balkongärtner. Die balconybotanista besprüht also die schon sehr kümmerliche Minze mit Neemöl und macht ein Netz drüber (zum Schutz für andere Tierlein). Die Larven bleiben Larven. Es sind so viele, dass die Erde unter der Minze ganz weiss ist. Die Läuse aber – die bleiben Läuse. Sie fressen weiter meine Minze auf. Da ich diese aber grosszügig mit Neemöl eingesprüht habe und sie deshalb eher nicht angreifen will (Krebs und so), schaue ich zu, wie die verbliebenen Läuse meine Minze aussaugen.
FAZIT
Neemöl hilft wenn überhaupt vorbeugend und bei anfangendem Befall. Wenn aber schon alles voll ist mit Blattläusen – dann vielleicht doch lieber Marienkäferlarven… für dauerhaft mehr Grün auf Anthrazit.