F1-Samen – ein Ausdruck, den man immer wieder auf Päckchen mit Pflanzensamen liest. Denn «Hybridsamen» klingt nicht so gut. 🙂 Das zeigt meine Beobachtung letzte Woche auf der Greentech Amsterdam (einer grossen Gemüsebaumesse), auf der es auch einige Vorträge zu hören gab. Einer der Vortragenden, tätig in einem grossen Saatgutkonzern, beschäftigte mich mit dem leidenschaftlich hervorgebrachten Satz: «F1-Samen sind die Grundlage der Diversität!». Das denkt ein Konzern, der die Existenz riesiger Monokulturen ermöglicht. Hmmm.
Erst mal will ich wissen: was sind denn nun Hybridsamen?
Um zu verstehen warum Hybridsamen überhaupt verkauft werden und was F1 bedeutet, muss man als erstes ein bisschen am Fach «Genetik» kratzen…
F1-Samen und die Vererbungsregeln
Es war einmal ein Mönch namens Mendel, der als hochintelligenter junger, aber verarmter Mann ins Kloster ging. Dort beschäftigte er sich trotz der harten Arbeit mit den Themen, die ihn besonders interessierten. Das war hauptsächlich die Naturwissenschaft. Er ging im Gärtnern auf, die Botanik faszinierte ihn – und dank eines Mentors, der sein wissenschaftliches Potenzial erkannte, konnte doch noch an die Universität in Wien. Das war um das Jahr 1850 herum.
Bei der Abschlussprüfung fiel er durch. Trotz, bzw. wegen seiner Intelligenz (er war wohl ein Klugscheisser) und seiner Sturheit, denn er konnte nicht nachgeben in einer Frage die sein Lehrer im stellte. An dieser Frage forschte er auch die 8 Jahre danach stur vor sich hin – während dieser Zeit machte er systematisch Kreuzungsversuche mit Erbsen. Denn Mendel glaubte, dass die Befruchtung einer Pflanze durch die Verschmelzung einer männlichen mit einer weiblichen Geschlechtszelle erfolgt. Das stimmt auch, nur war es damals eben nicht bewiesen.
Mendel jedoch, gab so lange nicht auf, bis er bewiesen hatte, dass Vermehrung durch das Mischen von 2 Keimzellen passiert. Nebenbei hat er auch noch Muster gefunden, nach denen bestimmte Merkmale weitergegeben werden.
Wie ein F1-Same entsteht
Hierzu ein Beispiel:
wir haben also zwei Erbsen und betrachten das Merkmal «Blütenfarbe». Die eine ist reinerbig rotblütig und die andere reinerbig weissblütig. Ich kreuze diese zwei Erbsen, denn ich möchte gerne herausfinden, welche Blütenfarbe sich durchsetzt.
Heraus kommen Erbsen deren Blüten alle rot sind! Aber, da sich ja zwei Zellen vermischt haben, bedeutet das, dass die Gene für die Farbe nicht mehr reinerbig sind. Sondern einen Teil rot und einen Teil weiss in sich tragen. Der Grund warum alle Blüten rot sind ist, dass rot gegenüber weiss einfach dominant in der Ausprägung ist. Das sieht dann so aus:
Wenn ich nur rote Blüten bei meinen Erbsen will, sind also Samen der F1 Generation mein heiliger Gral! Denn alle diese Samen haben in ihrer Ausprägung rote Blüten!
In der Praxis der Saatgutherstellung wird diese sehr einfach Art der Samenherstellung mit gewissem Ausgang für verschiedenste Eigenschaften verwendet. Egal was ich will. Kleinwüchsige, runde Kürbisse oder hochrankende bunte Bohnen – F1-Samen gibt es für fast alles, was das Gärtnerherz begehrt!
Eine spezielle Form von Hybriden sind jedoch die CMS Samen.
CMS –Samen
CMS steht für «cytoplasmatisch-männliche Sterilität». Das bedeutet auf Deutsch, dass die Staubbeutel, die die Pollen produzieren (welche mit der Eizelle verschmelzen sollten) verkümmern. Damit gibt es keine männlichen Samenzellen und auch keine Fortpflanzung. CMS ist eine in der Natur vorkommende Mutation, die über die weibliche Geschlechtszelle vererbt wird.
So… das kann natürlich recht praktisch sein, wenn ich nicht will, dass zwei F1-Pflanzen sich gegenseitig befruchten und dann verschiedene Varianten genetischer Vermischung ausprägen.
Das ist bei F1-Samen vom Bild oben der Fall! Wenn ich diese kreuze, dann bekomme ich auf einmal ein durchmischtes Erbsenfeld:
Tja blöd wenn ich immer nur dasselbe will. Dachten sich Saatguthersteller auch und fanden, dass ja sowieso jeder nur mehr die F1-Generationen will – da braucht’s gar keine Vermehrungsmöglichkeit dieser Samen! Deshalb sind Samen, die eigentlich vermehrungsfähig sind, durch Einschleusung dieser CMS-Mutation steril.
Warum die balconybotanista sortenechte Samen verwendet
Es gibt zwei Hauptgründe, warum die balconybotanista keine F1-Samen verwendet. Diese sind hauptsächlich emotionaler Natur.
1 ) Unabhängigkeitsgefühl
Warum baue ich Gemüse an? Weil ich nicht zufrieden bin, mit der Art und Weise wie derzeit angebaut wird und selbst Pflanzen zum Wachsen, Gedeihen und Früchte tragen bringen will. Die balconybotanista möchte sich selbst ermächtigen, Nahrung zu produzieren. Klar, nur auf minimaler Fläche und in kleiner Menge – aber können will ich es. Pflanzenanbau ist eine Grundlage menschlicher Lebensfähigkeit! Was nützt es mir, in meinem Botanikstudium alle Details über die Pflanzenzelle gelernt zu haben, ohne jemals wirklich eine Pflanze aus einem Samen gezogen und bis zum Welken begleitet zu haben?
In dieser Art der Selbstermächtigung fühle ich mich eingeschränkt wenn ich dann nur Samen bekomme, die genau einmal blühen und Früchte tragen. Mir wird so die Möglichkeit genommen, aus diesen Früchten neue Pflänzchen zu ziehen und den Kreislauf zu schliessen OHNE Abhängigkeit von irgendjemandem!
2 ) ein Herz für Biodiversität
Um zu dem Zitat des Saatgutherstellers von der Gewächshausmesse zurückzukehren: «F1-Samen sind die Grundlage der Diversität!».
Das hat mich beschäftigt und ich habe deshalb meine Biologiebücher wieder durchforstet. Sind F1-Samen die Grundlage der Diversität?
Mein Schluss ist:
Nein.
Die Grundlage der Diversität ist die Fähigkeit von Pflanzen, sich zu vermehren und genetisches Material zu vermischen.
… und die Weitsicht der Menschen, dies auch zuzulassen. Als Agrarwirtschaft noch nicht industrialisiert war, gab es unterschiedlichste Sorten, die von Bauern, Hausgärtnern, Klostern und fast jedem Menschen, der über ein Stück Boden verfügte, angebaut wurden. Diese verfügten meist auch über standortspezifische Robustheit. Es machte also Sinn, sie weiter zu vermehren.
Heute sind genau zwei wünschenswerte Merkmale im Mittelpunkt: grösstmöglicher Ertrag und bequeme maschinelle Pflege und Ernte. Natürlich führt das zu bevorzugten Samen, die dann eben je nach Standort mit Dünger oder Gift bearbeitet werden müssen. Das wiederum führt zu einem Riesengeschäft mit genau diesem Saatgut – welches Jahr für Jahr neu eingekauft werden muss.
FAZIT
Die balconybotanista wird weiterhin unabhängig anbauen (auch wenn sie wahrscheinlich aus Faulheit keine Samen ernten wird)! Biodiversität ist kein Mechanismus, sondern eine Entscheidung, die von uns Menschen abhängt – wir können zwar schon diverse Samen produzieren – aber wenn wir dann nur eine Sorte anbauen ist das nicht «Biodiversität».
Noch ein letztes Wort: Hut ab vor Mendel, dem all die hater egal waren und der einfach sein Ding durchgezogen hat. 🙂 Für mehr Grün auf Anthrazit!
PS.: Samenfestes Saatgut kann man in der Schweiz bei ProSpecieRara kaufen und in Österreich bei Arche-Noah.